
Kapitel 1: Die Spurensuche beginnt Seite 8-10
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Ashtanu wurde es genannt
Ich kam zu mir in der Dämmerung. Unter mir: harter, trockener Boden, durchzogen von Wurzeln und kleinen Steinen. Die Luft roch nach Staub, Feuerstellen und etwas… Rauchigem. Nicht verbrannt, sondern würzig, fast vertraut. Ich blinzelte in das erste Licht eines neuen Morgens und setzte mich langsam auf. Ich lag inmitten einer flachen Ebene, umgeben von niedrigen Hügeln. In der Ferne glänzte ein breiter Fluss im goldenen Licht der aufgehenden Sonne. Daneben: einfache Behausungen aus Lehm und Holz, und schlanke Gestalten, die zwischen den Feldern und Feuerstellen umhergingen.
Es dauerte nicht lange, bis mich jemand entdeckte.
Eine Gestalt mit einem mit Tierhäuten bespannten Rahmen auf dem Rücken kam langsam näher. Ihre Bewegungen waren ruhig, bedacht. Als sie mich erreichte, erkannte ich: Es war eine Frau, älter, mit tiefen Falten im Gesicht, aber wachen, durchdringenden Augen. In ihrem Haar hingen getrocknete Kräuter, ihre Kleidung war aus geflochtenem Hanf.
„Du bist gefallen. Oder gesandt worden.“
Ihre Stimme war rau, aber nicht unfreundlich.
„Die Erde hat dich angenommen, aber deine Seele ist noch verwirrt.“
Ich nickte nur – noch leicht benommen vom Zeitsprung.
Sie reichte mir die Hand. Ich griff zu, und ihre Finger fühlten sich fest und warm an.
„Komm. Die Ahnen wissen vielleicht, warum du hier bist.“
Sie führte mich den Pfad entlang zum Lager. Dort brannten kleine Feuer, auf denen Tonkrüge standen. Überall waren Menschen – barfuß, sonnengegerbt, mit kunstvoll bemalten Gesichtern. Einige flochten Körbe, andere schnitzten mit Feuersteinwerkzeugen. Kinder lachten, ein Hund bellte. Alles wirkte einfach – und doch hochentwickelt. Ich erkannte primitive Webstühle, einfache Bewässerungssysteme, sogar einen kleinen Lehmspeicher mit eingeritzten Symbolen.
Und dann sah ich es: In der Mitte des Dorfes wuchs eine große, üppige Pflanze – über zwei Meter hoch, mit gezackten Blättern und einem süßlich-herben Duft.
Cannabis.
Ich war richtig.
„Sie ist die Mutterfaser“, sagte die alte Frau, als sie meinem Blick folgte.
„Sie kleidet uns, heilt uns, trägt unsere Lasten – und öffnet den Geist.“
Sie hieß Sha’ra – die Kräutermutter des Stammes. In den folgenden Tagen lebte ich unter diesen frühen Menschen. Ich sah, wie sie aus Hanffasern feine Garne spannen, daraus Kleidung webten, Fischernetze knüpften, Bogensehnen fertigten. Ich half beim Ernten der Pflanzen, lernte, wie man die Stängel im Wasser weich machte, um die Fasern zu lösen. Ich schlief auf Matten aus Hanf, trank Kräuteraufgüsse aus seinen Blättern und erlebte die Kraft dieser Pflanze in all ihren Facetten.
Am dritten Tag nahm Sha’ra mich mit zum Fluss. Dort stand ein Steinkreis – fünf aufgerichtete Monolithen, umgeben von Kräuterspiralen. In der Mitte brannte eine Schale mit glühenden Kohlen. Sie warf getrocknete Blätter hinein, und ein süßer, dicker Rauch stieg auf.
„Unsere Ahnen nennen sie Ashtanu – die Pflanze des Übergangs.“
Wir setzten uns, und sie begann zu sprechen. Ihre Stimme war ruhig, beinahe singend.
„Vor langer Zeit war der Mensch nackt. Nicht nur ohne Kleidung – auch ohne Sprache, ohne Ordnung, ohne Träume. Dann kam Ashtanu. Sie zeigte uns, wie man spinnt. Wie man Knoten macht, wie man trägt, webt, heilt, meditiert. Sie brachte Träume in unsere Hütten und Gedanken in unsere Lieder.“
Ich spürte, wie der Rauch meinen Kopf umhüllte. Nicht unangenehm – eher wie ein warmer Nebel, der sich sanft durch mein Bewusstsein schob. Ich sah Visionen – Szenen, die ich nicht kannte und doch verstand: ein Mann mit einem Hanfseil, der ein Lasttier zieht. Eine Frau, die ein krankes Kind mit einer Tinktur aus Blättern bestreicht. Tänzer im Kreis, rauchend, rufend, verbunden.
Es war nicht nur ein Rausch. Es war Geschichte. Erinnerung. Etwas Uraltes, das durch mich hindurchfloss.